Gott ist tot. Und das ist gut so.
Aber es hat auch den Nachteil, dass sich Menschen andere GöttInnen suchen, denen sie die Verantwortung für einfach alles geben. Die heißen dann ganz unverdächtig etwa Angela Merkel, Barack Obama, Marine Le Pen, Hans-Christian Strache, Mario Draghi oder Rapid Wien (Auswahl willkürlich und lange nicht vollständig).
So war ich beispielsweise am Donnerstag unterwegs, um ein Interview mit den Vorständen der in Gründung befindlichen Bank für Gemeinwohl zu führen. Gerade vorher hat mir meine langjährige Hausbank (und meine liebenswerte Betreuerin, der mittlerweile alle Hände für den individuellen Kundenkontakt gebunden wurden) aufgrund meiner beruflichen Situation (ich bin seit 3 Monaten selbständig und nicht mehr angestellt) über Nacht meinen Konto-Überziehungsrahmen um die Hälfte gekürzt. Damit stand ich plötzlich ohne Geld und mit einem negativen Disposaldo und den zusätzlichen Kosten wie Überziehungsprovision und wie sie alle heißen da, obwohl ich am Vortag noch genug Geld am Konto hatte, um bis zum Monatsende durchzukommen. "Steht so in den Geschäftsbedingungen", sagte mir meine liebe Betreuerin am Telefon und schlug mir eine monatliche Rückzahlungsrate vor, die ich mir nicht wirklich leisten kann. Ich willigte dennoch ein, denn damit bekam ich mein Geld und meinen Rahmen wieder zurück, wenn auch nur bis 15.6. Dann beginnt die Rückzahlung, sprich monatliche Rahmenreduktion.
Auf dem Weg zum Interview für Radio Orange, bei dem ich seit einigen Monaten ehrenamtlich als Nachrichtenredakteur und Sendungsverantwortlicher für meine monatliche Sendereihe "Nie mehr Schule" arbeite, fielen mir dann noch jede Menge Situationen auf, die ein Bild vom wahren Zustand der Welt geben.
Wir aber werden tatgtäglich mit Brot und Spielen dumm gehalten. Das beginnt in der Schule, wo Lernen immer Spaß machen soll und der Lehrplan den Unterrichtsablauf vorgibt und nicht die ernsthaften Fragen der Kinder und Jugendlichen (solange sie diese noch zu stellen im Stande sind). In immer kürzer werdenen Abständen finden irgendwelche Sportereignisse statt, die natürlich live im TV übertragen werden müssen und im Radio redet man uns seit Wochen ein, dass das Wetter viel zu schlecht und zu kalt ist. Man jubelt nur, wenn sich mitten im Mai ein Hochsommertag mit über 25 Grad Celsius ankündigt. Und natürlich zählt man die Tage bis zum Wochenende. Könnte man meines Erachtens auch die Tage bis zum Lebensende zählen, weil dann ist wirklich alles vorbei.
Ich treffe auf meinem Weg also einen jungen Mann in kurzen Hosen, der gedankenverloren mit zwei Kindern in der U-Bahnstation nach der U-Bahn sucht und nicht bemerkt, dass seine Kinder DA sind. Hatte sicher Wichtigeres zu tun und zu denken, kenne ich auch.
Ich komme an dem einen oder anderen Ampelpärchen vorbei, muss mit meinem Rad einen Umweg fahren, weil die Wientalterrasse gebaut wird und mit ihr ein Steg über den Fluss.
Ich kehre kurz in einem Backwaren-Verkaufsshop (Bäcker gibt's ja nicht mehr) ein und freue mich, dass ich da bar zahlen kann (fragt sich nur wie lange noch, denn angeblich steht ja die Abschaffung des Bargelds unmittelbar bevor) und sehe das "Elend" der beiden VerkäuferInnen, die hin und her gerissen sind zwischen der Laufkundschaft, den Gästen im Cafe-Bereich und den ständig eindringlich piepsenden Backautomaten. Beide sind zwischen 50 und 60 und müssen unter Bedingungen arbeiten, die ihnen jede Freude nehmen und ihr Leben zur "Hölle" machen. Das neue Proletariat heißt Prekariat und es schließt jene ein, die Drecksarbeit machen müssen, ohne davon leben zu können - auch in der Pension wird's da wohl nicht besser werden.
Angesichts dieser an allen Ecken und Enden sichtbaren Verarmung der Welt wundere ich mich wieder und wieder über die Ausgaben, die wir alle für so schrille Dinge wie Song-Contest und Ampelpärchen oder Wientalterrassen machen - anstatt über ein Grundeinkommen nachzudenken, dass uns allen ein existenzgesichertes Auskommen ermöglicht. Uns ALLEN und nicht nur den wenigen, sie sich noch zur Mittelschicht (die es aus meiner Wahrnehmung ja gar nicht mehr gibt, so es sie jemals gegeben hat) oder darüber zugehörig fühlen.
Man hat uns - ich habe es hier schon vor kurzem in einem anderen Zusammenhang geschrieben - wirklich voll ins Hirn g'schiss'n, nichts zu machen. Denn eigentlich müssten die Menschen eine neue "ArbeiterInnen-Bewegung" ins Leben rufen und sich ihrer Stärke, die sie als solidarisches Kollektiv haben (Motto: "Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will"), bewusst werden und entsprechend handeln.
Nie habe ich das gedacht, dass das Vorurteil, das meine KollegInnen zu Betriebsratszeiten in einer konservativen Großbank mir gegenüber hegten, einmal zutreffen könnte: "Du bist ja a Linker". Ich fühle mich auch jetzt nicht wohl mit diesen Schubladierungen, denn ich weiß aus eigener Erfahrung nur zu gut, wohin die führen.
So habe ich heute eine Antwort, die mir damals (ich war Mitte Zwanzig) noch nicht eingefallen ist:
"Nein, ich bin kein Linker, ich bin ein Mensch!"
Als solcher liege ich nun im Fieber und kotze von soviel Brot und Spielen, an denen ich mich auch viel zu oft beteilgt habe, weil ich erschöpft vom Daseins-Kampf (sprich: Existenzsicherung meiner 5-köpfigen Familie) glaubte, dass sie mir Linderung verschaffen.
Geheilt bin ich noch nicht, aber ich hoffe, dass dieses Welt-Fieber zu einer neuen Perspektive führen wird, die mir die Kraft zu verleihen im Stande ist, das zu tun, was längst getan werden muss.