Verblüffend, dass hier offenbar die ganze Welt verrückt spielt. Mittlerweile zweifle ich stark an den Worten des österreichischen Zoologen und Verhaltensforschers Konrad Lorenz, der da postulierte, dass die angeborene Agrressivität aber eine grundlegend gute Bedeutung hat, wenn der Mensch in der Lage ist, die daraus entstehenden Konflikte ritualisiert und somit auf eine erlöste Art und Weise auszutragen (z.B. Sport, Wettstreit der Wissenschaften, Humor, Spiel, etc.). Ich erlebe genau diese ritualiserten Formen des Auslebens der Aggressivität als zunehmend bedrohlich, weil sie bloße unreflektierte Ersatzhandlungen sind, die keineswegs erlöst sind.
Auch in unserer Familie herrscht ein wenig Ausnahmezustand, da wir drei Söhne haben. Die Fußball-WM dominiert deren Alltag in Schule, Hort und Kindergruppe. Meine Frau und ich haben das Dilemma so gelöst, dass wir zuerst einmal völlig cool geblieben sind. Wir hören viel zu, wir relativieren, wir hinterfragen, wir blicken auf die teilnehmenden Länder und vor allem auf die Kinder und deren Situation - und wenn wir gemeinsam das eine oder andere Spiel anschauen, dann schauen wir auf den Ball und was, die Spieler mit ihm machen. Da haben wir allerdings nicht allzuviel zu sehen bekommen, denn Fußball hat sich sehr verändert. Für uns ist die WM mittlerweile auch schon vorbei, weil wir strenge Eltern sind und mit unseren Jungs nur das eine oder andere 18-Uhr-Match (insgesamt an einer Hand abzuzählen) angeschaut haben.
Der Größte hat sein Deutschland-T-Shirt nie angezogen, der Mittlere seines der Spanier zwischenzeitlich gegen das deutsche seines großen Bruders getauscht. Nur der kleinste bleibt bei seinem weißen mit dem schwarz-rot-goldenen Wappen. Das hat er sich beim Einkauf auf Grund der Farben, vor allem der goldenen ausgesucht.
Heute nach dem Wecken war dann auch die erste Frage im Kinderzimmer: "Wie ist es ausgegangen?" Meine knappe Antwort: "Siebeneins" Kurze Rückfrage: "Für wen?" Von mir kam vorerst keine Antwort, was zu Spekulationen führte. Der Dreijährige brachte es aber schnell auf den Punkt: "Für Deutschland natürlich". Ich quittierte mit einem knappen "Ja." Stöhnen in der anderen Zimmerhälfte mit folgenden Folgen: Der Größte verzichtet weiter auf das Tragen irgendwelcher Fußballleiberl, der Mittlere packte sein Spanien-Shirt wieder aus (ich nehme an aus Solidariät mit den "Gedemütigten") und unser Kleinster blieb bei seiner Entscheidung. Sehr zu Freude seiner Kindergruppenbetreuerin, deren Freund ein Deutscher ist.
Der langen Rede kurzer Sinn: was bei Kindern noch altersadäquat und ein Schritt auf dem Weg zu einer erwachsenen, reifen Persönlichkeit ist, scheint bei Erwachsenen aber so was von gestrig. Bleiben nur solche Fragen wie: "Wie erwachsen sind unsere Erwachsenen?" oder "Wann wird der Mensch tatsächlich seine höchste Entwicklungsstufe erreichen und seiner Anmaßung, die 'Krone der Schöpfung' zu sein auch nur annährend gerehct werden?" oder "Wie lang steht die Welt eigentlich noch?"